Olivier Carré, Financial Services Market Leader & Sustainability Sponsor Luxembourg, PwC Luxembourg
Im Zuge der aktuellen globalen Entwicklungen um uns herum wird immer deutlicher, dass ökologische und soziale Herausforderungen - sowie die Maßnahmen, die wir zur Bewältigung dieser ergreifen müssen – dieses Jahrhundert grundlegend bestimmen werden. Dies hat die politische Agenda der EU maßgeblich verändert, mit erheblichen Folgewirkungen für die Finanzwelt. ESG1 und nachhaltige Anlagen sind nun gesetzlich definiert und die Erfüllung der Anforderungen nachhaltigkeitsbewusster Anleger, der Aufsichtsbehörden und der Gesellschaft, wird zu einer Frage des wirtschaftlichen Überlebens.
Das alternative Fondsgeschäft der EU (‚Private Markets‘ oder PM ) ist von diesem Wandel nicht ausgenommen. Die General Partner (GPs) sind gezwungen, die Ungewissheit und das Ausmaß des ESG-Wandels zu akzeptieren - nicht nur im Hinblick auf das Management dieser ESG-Risiken, sondern auch im Hinblick auf die Investitionsauswahl und die Schaffung von ALPHA. Nach unserer Einschätzung werden diejenigen GPs ihre Wettbewerbsposition sichern oder sogar verbessern, die kurzfristig das Wertschöpfungspotenzial von ESG erkennen werden.
Der Großteil der Diskussion über die transformativen Auswirkungen von ESG auf die Asset- und Wealth-Management-Landschaft bezog sich bisher auf den traditionellen Fondsbereich (OGAW). Aufgrund der strukturellen Umwälzungen, die die EU Gesetzgebung auslöst, insbesondere die EU Taxonomie, ist es nicht überraschend, dass auch in den alternativen Fondsstrategien mit traditionell langfristigem Anlageziel ESG einen neuen und den finanziellen Faktoren ebenbürtigen Wertsteigerungs- oder Wertminderungsfaktor darstellt.
In den letzten beiden Jahren hat sich ein historischer Vermögenswertund Stimmungswandel innerhalb der europäischen PM-Branche vollzogen, wobei Investoren, die Gesellschaft und die Aufsichtsbehörden ihre ESG-Forderungen in den Vordergrund stellen. Ungeachtet dieser externen Triebkräfte sind auch die GPs selbst zunehmend für die wahre Bedeutung von ESG sensibilisiert. Sie sollten die entscheidenden Wettbewerbsvorteile erkennen, die sich ergeben, wenn sie eine wirklich nachhaltigkeitsorientierte Anlagephilosophie verfolgen und ihre treuhänderischen Pflichten mit ESG-Werten in Einklang bringen:
Die Berücksichtigung und/oder Investition in nachhaltige Ziele, die sich an den SDGs der UN oder der EU-Taxonomie orientieren, eröffnen bisher nicht-existente Wertschöpfungsmöglichkeiten. Ein erhebliches Alpha-Potenzial liegt in der Identifizierung von Branchen und deren Unterstützung des Übergangs zu nachhaltigerem Wirtschaften.
EU-Regulierungsbehörden und Zentralbanken fordern zunehmend physische und ESG-Übergangsrisiken identifizieren, verwalten und offenlegen zu können. Die Auswirkungen dieser Anforderungen werden nicht nur die Wahrnehmung der Öffentlichkeit bestimmen, sondern auch den Wert der Zielinvestitionen und die Möglichkeiten des erfolgreichen ‚Exits‘.
Dass Renditemaximierung und ESG-/Nachhaltigkeitsziele nicht vereinbar sind, ist eine Prämisse der Vergangenheit. Tatsächlich wird die Einführung neuer Regularien in Bezug auf ESG-Risiken und nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen (sog. ‚PAIs‘) dazu führen, dass sich ESG als wertschöpfend oder –mindernd erweist – und sich letztendlich zu einem zentralen Anlagekriterium entwickelt.
Die Attraktivität von Private Markets-Fonds wird mit der erfolgreichen Umsetzung von ESG und nachhaltigen Anlagen verbunden sein. Da Investoren zunehmend selber verpflichtet sind, ESG-Risiken im Rahmen ihrer aufsichtsrechtlichen oder treuhänderischen Pflichten zu berücksichtigen, werden die GPs, die nicht zumindest einen Teil ihrer Neu-Produkte oder Strategien entsprechend positionieren, Marktanteile verlieren.
Wie es bei vielen anderen Unternehmensaspekten bereits der Fall ist, werden auch die ESG-Bemühungen weitgehend von der Wahrnehmung und den Erwartungen der Stakeholder bestimmt. Während einige davon klar und formell definiert sind (z. B. verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen), sind andere mehrdeutig und unterliegen raschen Veränderungen (z.B. Aktienmärkte und öffentliche Meinung). Die kontinuierliche Anpassung und das Management dieser Wahrnehmungen und Erwartungen wird für die Glaubwürdigkeit der GPs und den Erfolg ihrer Anlagestrategien erfolgsbestimmend.
Die zunehmende Anerkennung der Möglichkeiten, gepaart mit den oben genannten externen Faktoren hat zu einem regelrechten ESG-Boom in den EU-Private Markets geführt. Die ESG-Vermögenswerte haben sich innerhalb der 3-Jahres-Periode von 2017 bis 2020 nahezu verdoppelt. Obwohl diese Entwicklung mehr als beeindruckend ist, gehen wir davon aus, dass die Industrie noch am Anfang der ESG Metamorphose und kurz vor einem ‚Re-boot‘ von historischem Ausmaß steht. Auf Grundlage von einer Vielzahl von Interviews mit GPs und Investoren sowie unserer Fundamental-Recherchen erwarten wir, dass ESG die europäische PM-Landschaft in einem Tempo und Ausmaß neu definieren wird, wie es seit der Einführung der AIFMD im Jahr 2011 nicht mehr geschehen ist.
Unseren Prognosen zufolge werden die ESG-Vermögenswerte der europäischen PM-Branche bis 2025 auf 775,7 Mrd. bis 1,2 Bn. EUR ansteigen und damit zwischen 27,2% und 42,4% der gesamten PM-Vermögensbasis ausmachen. Insbesondere Sachwerte werden bei diesem Anstieg an vorderster Front stehen: mit ESG-Vermögenswerten, die bis 2025 voraussichtlich 33,7% bzw. 40,6% der gesamten AuM der Real Estate- und Infrastruktur-Strategien ausmachen werden (vgl. Abbildung).
Dieser Boom wird dazu führen, dass Europa allein zwischen 31% und 35,9% der globalen EGS-PM-Vermögenswerte ausmachen wird – was die Region an die Spitze der globalen ESG-PMLandschaft positioniert.
Vor diesem Hintergrund haben wir grundlegende Empfehlungen entwickelt, die GPs in Betracht ziehen sollten, um die erfolgreiche Umsetzung dieser Strategien und den effektiven, nachhaltigen Übergang ihrer jeweiligen Geschäftsmodelle zu gewährleisten:
Im Zusammenhang mit dem ESG Re-boot, sollten die GPs eine strategische Entscheidung darüber treffen, welche Rolle sie als Unternehmen in diesem neuen Paradigma spielen wollen. GPs, die sich für ESG-Werte entscheiden und in dem neuen Umfeld eine führende Rolle einnehmen wollen, sollten ihre gesamte Geschäftstätigkeit durch eine ESG-Linse betrachten um den Übergang zu einer nachhaltigen Betriebsordnung in allen Facetten ihres Geschäfts voranzutreiben - angefangen vom Aufbau eines ESG-Kernteams bis hin zur Überarbeitung ihrer Einstellungs- und Weiterbildungspraktiken.
Um das volle Wertschöpfungspotenzial von ESG auszuschöpfen, sollten GPs sicherstellen, dass ESG- und Nachhaltigkeitsaspekte im gesamten Lebenszyklus ihrer Investitionen verankert sind, vom Screening bis zum Exit. Die wirksame Umsetzung einer gesetzlich konformen, nachhaltigen Anlagestrategie hängt wiederum weitgehend von der Formalisierung einer transparenten und konsistenten ESG-Anlagepolitik, der Priorisierung wesentlicher ESG-Themen und der Ermittlung und Verfolgung ESG-bezogener KPIs ab. Der langfristige Erfolg wird wiederum weitgehend von einem angemessenen Engagement bei den Zielunternehmen abhängen sowie von dem Ausmaß, in dem es den GPs gelingt, diese Unternehmen zu nachhaltigeren Standards und Leistungen zu bewegen.
Regulatorische Entwicklungen - vor allem in Form der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) - haben zu einer regelrechten Institutionalisierung von ESG-Risikomanagementprozessen geführt, so dass GPs gezwungen sind, sich entsprechend anzupassen. GPs werden sich auch zunehmend der Rolle bewusst, die ESG-Risikomanagementprozesse bei der Vermeidung von Reputations- und finanziellen Verlusten in ihren eigenen Geschäften und in denen ihrer Portfoliounternehmen spielen. In diesem Zusammenhang versetzt die engere Einbindung der GPs in die Unternehmen sie in eine besonders privilegierte Position, um die ESG-Risikomanagementprozesse in den Unternehmen zu stärken - und damit die Widerstandsfähigkeit und die Bewertungen zu verbessern.
GPs sollten sicherstellen, dass ihre ESG-bezogenen Berichterstattungspraktiken nicht nur den Anforderungen der Regulierungsbehörden, sondern auch den sich entwickelnden - und zunehmend strengeren - Erwartungen der Investoren entsprechen. Dies erfordert eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Investoren, um sicherzustellen, dass ihre Anforderungen an die Berichterstattung erfüllt werden, sowie die Erwartungshaltungen an ESG-Faktoren und Minimalausschlusskriterien. Eine qualitativ hochwertige und transparente Berichterstattung ist auch von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, der breiteren Stakeholder-Basis das wachsende Engagement der GPs für ESG zu demonstrieren.
Die effektive Bewältigung der ESG-bezogenen Datenherausforderungen ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass alle oben genannten Aktionspunkte wirksam umgesetzt werden können. Allerdings hat der historische Mangel an Datenstandardisierung innerhalb der PM und ihr oftmals nicht quantitative Natur den effektiven Umgang mit Daten zu einer besonders anspruchsvollen Aufgabe gemacht. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die regulatorische Entwicklung hin zu mehr Transparenz und Standardisierung auf Unternehmensebene den GPs helfen wird, diese Mängel zu beheben - und damit letztlich einen Teil der seit langem bestehenden Transparenzbedenken zu zerstreuen. Ungeachtet der regulatorischen Entwicklungen werden die GPs am ehesten Erfolg haben, die bereit sind, modernste Technologien zu nutzen, um ihre ESG-Datenerfassungsprozesse zu optimieren und die gewonnenen Daten auf sinnvolle und aufschlussreiche Weise zu rationalisieren.
Partner, Global AWM Market Research Centre Leader, PwC Luxembourg
Tel: +352 49 48 48 2191